TAZ 5.10.7 (GER)

Wenn die Ohren Augen machen

Michaela Melián macht Musik und Kunst-Installationen. Auf ihrem zweiten Album geht es um LA – die düster-glamouröse Stadt deutsch-jüdischer Exilanten. VON SONJA EISMANN

Michaela Melián kann gar nicht mehr aufhören zu lachen. Eben hat sie erfahren, dass auf der Website von Artnet ihre Kunstwerke in die Kategorie “emerging artists”, also NachwuchskünstlerInnen, eingeordnet werden. “Klasse” fände sie das, verkündet die 50-jährige Künstlerin und Musikerin fröhlich prustend, um dann ernsthafter hinzuzufügen, dass es ihr eigentlich wichtiger sei, hinter ihren Werken einfach zu verschwinden. Denn den Geniestatus, von der öffentlichen Wahrnehmung immer noch gern jeder künstlerischen Geste zugeschrieben, will sie bewusst nicht für sich beanspruchen, sondern im Gegenteil in Frage stellen – ganz in der Tradition von Andy Warhol, der mit seiner “blotted line” darauf verwies, dass alles nur abgepaust, Abklatsch sei.

“Es muss klar werden: Es ist nicht meine persönliche Befindlichkeit, um die es geht. Ich muss viel eher deutlich machen, woher ich komme, worauf ich mich beziehe”, so Melián. Vielleicht ist es diese Mischung aus Bescheidenheit und Reflexion, die dazu beigetragen hat, dass die bei München lebende Künstlerin erst langsam die Aufmerksamkeit bekommt, die ihren so vielfältigen wie vielschichtigen Arbeiten seit Jahren angemessen wäre.

Musikfans kennen die Frau, die mit ihrer hellwachen, grundsympathischen Art tatsächlich jede Erwartung von altersgebundener Gesetztheit dahinschmelzen lässt, freilich schon länger. Seit 27 Jahren ist Michaela Melián Bassistin und Sängerin der Band F.S.K., 2004 veröffentlichte sie ihr erstes Solo-Album “Baden-Baden”, dem jetzt “Los Angeles” folgt. Eine Solo-Karriere im klassischen Sinne interessiere sie aber nicht, stellt sie gleich klar, denn die Band sei eine zu wichtige Diskursplattform. “Damals hätten wir uns alle nicht vorstellen können, dass F.S.K. überhaupt so lange existiert”, erinnert sie sich amüsiert an die Anfänge an der Münchener Kunstakademie. Das Avantgarde-Musikprojekt, das sie nach wie vor gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Thomas Meinecke, dem Kunstkurator Justin Hoffmann, dem Fotografen Wilfried Petzi sowie ihrem Kooperationspartner für die Solokompositionen, Carl Oesterhelt, betreibt, hätte sich eigentlich alle drei Jahre auflösen können – zum ersten Mal schon 1983, in der Katerstimmung nach dem großen Popsommer 82, als so viele der neuen Bands wieder frustriert einpackten. Doch das Kollektiv, das ursprünglich aus der Zeitschrift Mode & Verzweiflung hervorgegangen war, erfand sich mit jeder Platte neu – und wurde nicht müde.

Die Idee, die eigene künstlerische Arbeit mit der Musik zu fusionieren – ihre Tracks entstehen eigentlich alle als Teile von Ausstellungen bzw. Auftragsarbeiten -, kam Melián erst relativ spät. Obwohl Anfang der 80er-Jahre “all die Oehlens, die Kippenbergers” ihre eigenen Bands hatten, waren Musik und Kunst für Melián, die entnervt vom “Leistungssport” der Musikhochschule zur Kunstakademie überwechselte, lange Zeit getrennte Bereiche. Verunsichert vom Hochkulturgehabe der Kunsthochschule und unschlüssig über die Wahl des richtigen Mediums, fand sie auf ihre Weise einen Kanal für ihre Subkultur- und Popaffinität: 50 Prozent der Zeit und des Interesses reservierte sie für die Musik, in der anderen Hälfte malte sie Bilder von Underground-Protagonisten wie Alfred Hilsberg und Jackie Eldorado. Als Ende der 90er der DJ dann zum “Gott des Ausstellungsbetriebs” wurde, der die Kunstinstitutionen wieder sexy machen sollte, wurde Michaela Melián klar: Genau hier könnte sie intervenieren und die beiden Disziplinen Kunst und Musik, gegenläufig zum DJ-Star-Schema, in subtilen Installationen zusammenführen. Ihren ersten Track schneiderte sie 2002 für eine Ausstellung im Münchener Ignaz-Günther-Haus einer von ihr 80-mal fotografierten, völlig entrückt wirkenden Magdalena-Skulptur des bayerischen Rokoko-Künstlers auf den Leib – und nannte ihn, versehen mit den passenden Beats, ganz keck “Ignaz Guenther House”.

Hier wird der originelle, anekdotische Zugang deutlich, der Meliáns Arbeiten auszeichnet: Für ihre gendertheoretisch unterfütterte Serie “Tomboy”, die ihren Mann zu seinem gleichnamigen Roman inspirierte, ließ sie am Fahndungscomputer der Polizei Phantombilder von berühmten Frauen erstellen, nach eigenen Beschreibungen. Prekäres Detail: Der Computer hatte nur männliche Gesichtszüge auf Lager. Schon Jahre vorher hatte sie in einer Ausstellung mit dem süffisanten Titel “Säcke” nach dem gleichen Prinzip Fahndungsbilder berühmter Männer auf unförmige Säcke drucken lassen. Männer wie Einstein kamen so auf einmal im Verbrechervisagen-Look daher.

Aber auch lokale Gegebenheiten sind ein wichtiger Ausgangspunkt für das Geflecht an historisch-kulturellen Bezügen, die sich Melián gerne flanierenderweise erwandert. Für ihr aus einer Installation hervorgegangenes Hörspiel “Föhrenwald”, das sich mit der wechselvollen Geschichte einer Wohnsiedlung in der Nähe Münchens zwischen Nazi-Mustersiedlung und Übergangscamp für jüdische Displaced Persons auseinandersetzt, erhielt sie 2006 den Hörspielpreis der Kriegsblinden.

Das Dingbar-Machen von flüchtigen Geschichten, das Einschreiben von scheinbar zufälligen Ereignissen, die sich aufgrund ungünstiger Machtverhältnisse und Hierarchien in Luft aufgelöst haben und nie Teil des kulturellen Gedächtnisses wurden, ist ein wichtiger Motor für Melián. “Wie kann man eine andere Form von Denkmalstruktur schaffen, die nichts Didaktisches hat oder konkret irgendjemandem dient – das sind die Fragen, die ich mir stelle”, so die Künstlerin. In ihrer Installation zu Hedy Lamarr, der aus Nazi-Österreich geflohenen Hollywood-Schönheit, die mit ihrem Patent zum Frequency Hopping für den Funkverkehr amerikanischer Kriegs-U-Boote einen wichtigen Beitrag zur heutigen Mobilfunktechnologie leistete, wurde einer dieser vergessenen Kulturbeiträge wieder ans Licht geholt.

Dass ihre neue Platte nun, wie der Vorgänger “Baden-Baden”, wieder einen Städte-Titel trägt, ist da natürlich kein Zufall. Melián sieht sich als Kind des 20. Jahrhunderts, das sich mit Vorliebe am Spannungsfeld deutscher Geschichte zwischen Drittem Reich und RAF abarbeitet. Der Sehnsuchts-, Flucht- und Migrationsort Los Angeles als Auffangbecken der deutsch-jüdischen Intelligenz spielt dabei eine herausragende Rolle. Und auch für ihre künstlerische Grundfrage, wie Musik zu Bildern passiert, ist die Produktionsmaschine Hollywood eine wichtige Chiffre. “Nun können auch die Ohren Augen machen”, schreibt Didi Neidhardt über die Wechselwirkung von Bild und Ton in Meliáns Installationen, in denen visuelle Versatzstücke von Örtlichkeiten häufig als Näh- oder Stempelbilder abstrahiert und dann wiederum von Musik erweitert werden. Musik, die ebenfalls auf spezifisch lokale oder historische Hintergründe verweist: Beim”Ignaz Guenther House” ist das etwa ein Klavier-Präludium in h-Moll vom Zeitgenossen Bach, bei der Arbeit “Panorama” (2003), die in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais gezeigt wurde, ein von ihr auf der Gitarre interpretiertes Motiv aus dem Lied “Innsbruck, ich muss dich lassen”.

Die neun Stücke auf “Los Angeles”, deren Beats Michaela Melián nach ihrem Einsatz in den jeweiligen Installationen noch mal entschlackte, um den Sog des Albums nicht zu schmälern, versprühen in der Tat den düsteren Glamour klassischer Hollywood-Produktionen. Weniger Beat-orientiert und atmosphärisch aufgeladener als auf “Baden-Baden”, changieren die auf bis zu 80 Spuren arrangierten Stücke mit Violoncello, Ukulele, Orgel, Synthie, Melodica und Glockenspiel zwischen E und U. Mal lassen sie, wie bei “Angel”, mit ihrem Ambient-Geflirre an My Bloody Valentine oder Fennesz “Endless Summer” denken, mal evoziert die zart gezupfte Ukulele auf “Stift” ein Echo von Jim ORourke. Beim Opener “Locke-Pistole-Kreuz” mit seinen kargen Piano-Tupfern sieht man sich gleich im glamourösen Exil-Haus der Werfel-Mahlers in Hollywood sitzen.

Den Entstehungsprozess der Tracks am Rechner charakterisiert Melián als an den Kompositionsprozessen einer Band statt den endlosen Möglichkeiten moderner Software geschult; “ein bisschen so, als würde man eine Collage noch mit der Schere ausschneiden”. Der Einsatz handwerklicher Techniken spielt auch in ihren täuschend simplen künstlerischen Arbeiten eine wichtige Rolle, wenn sie zum Beispiel Konturen herausarbeitet und mit Faden nachstickt bzw. -näht. “Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich eine Linie mit einem Bleistift oder einem Faden produziere. Gleichzeitig haben diese Techniken natürlich alle eine geschlechtsspezifische Geschichte. Ich habe immer betont, dass der Schneider ursprünglich ein Mann war und die Nähmaschine später für die Industriearbeiterin entwickelt worden ist. Ich sehe das also gar nicht unbedingt als weibliche Technik, mir geht es eher um das Maschinenartige, um eine digitale Linie. Dieses ,Loch und Strich’ und ,Null und Eins’ ist ja eine Auflösung einer Handschrift.”

Die Wahrnehmung von Geschlecht sei in letzter Zeit durch die Konjunktur und die “Sexiness” von Genderdiskursen in der Kunst deutlich differenzierter geworden, ist sich Michaela Melián sicher. Eine Reaktion wie auf ihre rein weiblich besetzte Gruppenschau “Balkon” 1989 in München (u.a. mit Rosemarie Trockel, Jutta Koether und Johanna Kandl), die als überflüssige “Tamponkunst” verunglimpft wurde, wäre heute in dieser offen antifeministischen Vehemenz nicht mehr möglich. Trotzdem sind es immer noch die malenden Männer, die sich auf den vordersten Plätzen der Kunstbestseller-Listen drängeln und nicht die von Valie Export beeinflusste Medienkunst. Aber ein Gutes hat die Verniedlichung Michaela Meliáns als “emerging artist” gegenüber den “big players”: Es ist so anregend kluge Musik und Kunst, hinter der sie da verschwindet, dass das Etikett “emerging” auf sie eigentlich gut passt, erzählt es doch auch von stetiger Weiterentwicklung.