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Der geloopte Glamour

Man stelle sich ein Weberschiffchen vor, das hin und her tanzt und, Faden für Faden, einen schillernden Stoff webt. Man stelle sich die Nadel einer Nähmaschine vor, die ihre Löcher sticht wie präzise Elektro-Beats. Und man stelle sich die schweifenden Gedanken der Näherin vor, die vernetzt, verbindet. So funktioniert die Kunst von Michaela Melián.

In ihrem Projekt “Föhrenwald” etwa: Da hat sie die Geschichte eines Lagers bei München recherchiert, in dem erst Zwangsarbeiter, nach dem Krieg so genannte “Displaced Persons” waren. Aus Zitaten von Zeitzeugen hat sie ein Hörspiel gewebt, in der Kunstinstallation überlagerten sich zu diesen Stimmen Dias von Zeichnungen der Orte, abstrahiert in schwarzen und weißen Linien.

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Die Musik, die all das in langsamem Flow verbindet, findet sich jetzt auf Meliáns zweiter Solo-CD “Los Angeles” – und sie allein ist der Aufmerksamkeit wert, selbst wenn man nicht weiß, wie ihr Kontext ist. Der Track “Föhrenwald” ist komplex wie das gesamte Projekt: Aus einer melancholischen Akkordfolge schält sich ein Melodiefragment, ein Cello, ein Akkordeon finden in versetzten Loops zusammen und werden gekontert von computerbearbeiteten, leise fiependen Versionen ihrer selbst. Musikmaterial von Künstlern des jüdischen Kulturbundes aus den 30er Jahren hat Melián zerschnitten, aneinander- und eingesetzt, ein suggestives, aber unkitschiges Ambient-Stück daraus gemacht.

Zu ihren größeren Installationen macht die klassisch ausgebildete Musikerin auf diese Weise einen Soundtrack, mit Carl Oesterhelt, mit dem sie seit Jahren in der Münchner Band F.S.K. spielt. Als sie diese Solo-Stücke im Album “Baden-Baden” 2004 erstmals veröffentlichte, waren Freunde elektronischer Musik begeistert.

Unglaublich coole Akkordfolge

“Los Angeles” ist nun ein würdiger Nachfolger geworden. Geprägt vom “Föhrenwald”-Projekt, wirkt es melancholischer als “Baden-Baden”: Es ist das Los Angeles der Emigranten, ein utopisches, anderes Europa in der amerikanischen Wüste, voll morbiden Glamours, das Meliáns sphärische Sounds heraufbeschwören. Wobei es auch wieder Club-Reminiszenzen gibt: “Convention” ist so ein Stück, das mit einer unglaublich coolen Jazz-Akkordfolge einsetzt. Melián hat dieses Sample von der Jazzpianistin Marilou Williams geliehen, die auch in anderen Stücken auftaucht, wie eine musikalische Patin bei der Reise nach L.A. Diese Jazzsamples verbinden sich in “Convention” mit trockenen Disko-Beats zu einer pochenden, groovenden, sehr tanzbaren Mischung.

Im Titelstück, “Angel”, verschmilzt Melián ein Klavier-Sample von Fanny Mendelssohn mit einem Fetzen Knabenchor ihres Bruders – zwecks Gender-Verwirrung, und weil es sich phänomenal anhört. Anderswo demonstriert sie mit Hilfe auratisch knisternder alter Aufnahmen, dass auch Bach ein idealer Ausgangspunkt für Loops ist. Und so wie ihr erstes Album “Baden Baden” mit dem Roxy-Musik-Cover “A Song for Europe” endete, kapert sie sich auch jetzt wieder ein Lied der Band, deren glamouröse Künstlichkeit für sie seit den achtziger Jahren ein Ausgangspunkt war: “Manifesto”, schwer stampfend, mit wuchernden Dissonanzen überzogen und mit Meliáns geradem, direktem Nico-Gesang gekrönt, der am Ende dieses Instrumental-Albums wie ein trotziger Baum in weiter Landschaft steht: “I am for a revolution coming…”

Der letzte Ton gehört dem Cello, dann reißt der Track ab. Und man wird das Album erst einmal auf Loop stellen.

VON ELKE BUHR