Junge Welt (GER)

Musikrezension 30.11.2012 / Feuilleton / Seite 13Inhalt

Plötzlich voll drin

Gudrun Gut sieht sich die Dinge genauer an – in ihrem Garten und auf ihrem Album »Wildlife«

Von Christof Meueler

Um einen Garten muß man sich kümmern. Das ist das Hauptproblem. Frische Luft. Schön und gut. Aber das Getrage, Gerupfe und Gejäte, danke, nee. Lieber das neue Album von Gudrun Gut anhören: »Wildlife«. Das geht über das Gärtnern, aber nicht nur. Sie singt: »Ein Garten mit ’ner Sonne, ein Garten mit ’nem Mond, ein Garten, der sich lohnt, weil er in mir wohnt«. Muß man gar nicht rausgehen, jedenfalls theoretisch.

Gudrun Gut geht natürlich trotzdem raus, bzw. sie fährt raus. Von Berlin in die Uckermark. Da gibt es ein Anwesen, das sie und ihr Freund sich mit mehreren Leuten teilen. Mit Garten – und Studio im Keller. Der Garten soll eigentlich ein Wildgarten sein, aber der Mensch greift ein. Schlägt hier mal eine Schneise, pflanzt dort was an. Auch wenn man vorher nichts damit zu tun haben wollte, ist man plötzlich voll drin. Am Anfang war der freie Himmel. Und dann beeindruckten die Jahreszeiten, die man ganz anders als in der Stadt merkt. Im Winter ist Pause, da kann man gar nichts machen. Warum überhaupt? Streß, klar. Gudrun Gut hatte eine Kiefersperre, konnte längere Zeit nur mit Strohhalm essen. Weil sie sich ihr Leben so vollgepackt hatte. Sie hat ein Label (»Monika Enterprise«), eine Radiosendung (»Ocean Club«) und alles mögliche sonst noch zu tun und auch vor. »Frei sein, wer will da dabei sein?« singt sie jetzt, die großen Fragen, wie nebenbei eingestreut. »Sachen machen, die kleinen Sachen, Nebensachen, anders sehen, die Lupe nehmen.«

Irgendwo im Garten, da draußen. Grundfrage: »How can I move?«

Zum Gudrun-Gut-Beat. Hat irgendwas mit Dub zu tun und mit verlangsamtem, durchdacht verstolpertem House. Abgemischt von Jörg Burger, weil sie die Tracks nicht mehr hören konnte. Ewigkeiten hat sie daran rumgebastelt, alles selbst aufgenommen, bis auf die Gitarre in einem Lied, die spielt Daniel Meteo. Das dauert. Ihre letztes Soloalbum ist schon länger her. »I put a record on« erschien vor fünf Jahren. EPs machen geht schneller. Ein Format, auf dem Mania D., Malaria! und Matador vorrangig veröffentlichten, die berühmten weiblichen Post-Punk-Bands, in denen Gudrun Gut vor längerer Zeit Schlagzeug spielte. »Ein Spinnennetz, ein Tautropfen ein Grashalm« – Gudrun Gut sieht sich die Dinge genauer an.

Mittlerweile hat sie ihren ganz persönlichen Eintauchsound geschaffen. Minimalistisch melodiös, kunstvoll groovend zu ihrem gesprochenen Gesang, der sich stets anhört wie geflüstert, und dabei viel zu cool ist, um manieriert zu wirken. Den Eintauchsound gab es schon in ihren Radioshows. Auf ihren Soloalaben wird er stetig feiner, souveräner und gleitender. Es geht dahin, wo man sich genau umschaut: unter Wasser oder als Tiger in einem Käfig. Eben die großen Fragen. Da kann sie sogar ein großes, schlimmes Lied wie »Simply the best« von Tina Turner neu einspielen und sanft hardrock-karnevalistisch filetieren, um die darin postulierte »Language of love« zu retten – im besten Sinne von Walter Benjamin.

Zu ihrem Gesang sagt sie, sie hätte »eine gute Mikrofonstimme«. Und daß sie es mag, wenn die Gedanken fließen. Das sei gut für sie. Mit der Schriftstellerin Annika Reich hat sie das Lied »Erinnerung« getextet. Gudrun Gut ist über 50, sie war in der Urformation der Einstürzenden Neubauten. Auf der Neuausgabe von Jürgen Teipels »Doku-Roman« über Punk und die Folgen in Westdeutschland und Westberlin, »Verschwende deine Jugend«, ist sie auf dem Cover abgebildet. Im Buch spricht sie über die alten Zeiten. In »Klang der Familie« von Felix Denk und Sven von Thülen über Techno in Berlin kurz vor 89 und danach ist sie nicht vertreten, obwohl sie im E-Werk auf den Parties war. Nun singt sie über »gefilterte Vergangenheit« und vom »Schweigen in Erinnerung, Tauchen in Erinnerung, deine, meine, unsere, ihre, seine«. Den weitesten Blick hat sie im Garten, sagt sie. »Ist das, was man vergessen hat, zu nah oder zu fern?« Für Gudrun Gut ist gelebte Kultur die revolutionäre Kultur. »Unsere Spuren sind Schneeglöckchen« – denkt mal drüber nach, Weltveränderer.

Gudrun Gut: »Wildlife« (Monika Enterprise/Indigo)

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